Insolvenzverfahren – Gutschriften

Hat der Schuldner einen ungekündigten Kontokorrentkredit nicht ausgeschöpft, führen in kritischer Zeit eingehende, dem Konto gutgeschriebene Zahlungen, denen keine Abbuchungen gegenüber-stehen, infolge der damit verbundenen Kredittilgung zu einer inkongruenten Deckung zugunsten des Kreditinstituts.

Der Kläger ist Verwalter in dem auf den Eigenantrag vom 21. Oktober 2003 über das Vermögen der S. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin) am 26. Januar 2004 eröffneten Insolvenzverfahren. Die beklagte Sparkasse räumte der Schuldnerin ab dem 1. Juli 2003 unbefristet eine Kreditlinie in Höhe von 100.000 € ein. Innerhalb der letzten drei Monate vor Antragstellung wurde der Kredit um insgesamt 44.599,46 € zurückgeführt. Die H. Baugesellschaft mbH überwies auf das Konto der
Schuldnerin am 7. August 2003 einen Betrag von 30.833,33 € und am 4. September 2003 einen weiteren Betrag von 9.950,03 €; beide Zahlungen beruhten auf einem – zwischenzeitlich rechtskräftigen – vorläufig vollstreckbaren Urteil, aus dem die Schuldnerin aufgrund seitens der Beklagten gestellter Bankbürgschaften vollstrecken konnte. Außerdem gingen am 22. August 2003 eine Zahlung von 1.746 € und am 5. September 2003 eine Zahlung von 157,53 € auf dem Konto
der Schuldnerin ein. Schließlich erfolgte eine Buchung zugunsten der Schuldnerin unter dem Titel „Zahlungen Sparkasse intern“ in Höhe von 1.912,57 €. Nach Bekanntwerden des Insolvenzantrags kündigte die Beklagte die Geschäftsverbindung zu der Schuldnerin mit Schreiben vom 19. November 2003. Unstreitig hätte die Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt Verfügungen der Schuldnerin von ihrem Konto zugelassen.

Wegen der unstreitigen Feststellungen des Berufungsgerichts wurde die der Schuldnerin gewährte Kreditlinie in Höhe von 100.000 € in dem Zeitraum von drei Monaten vor Insolvenzantragstellung durch Kontogutschriften um 44.599,46 € verringert. Die darin liegende Rückzahlung des Kredits ist als inkongruente Deckung anfechtbar (§ 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO).

Hierzu wirde ausgeführt: In kritischer Zeit vorgenommene Verrech-nungen eines Kreditinstituts von Ansprüchen seines Kunden aus Gutschriften aufgrund von Überweisungen mit Forderungen, die dem Institut gegen den Kunden aus der in Anspruch genommenen Kreditlinie eines Kontokorrentkredits zustehen, können nach §§ 130, 131 InsO anfechtbar und deshalb nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig sein. Welche Norm eingreift, hängt davon ab, ob – etwa wegen Kündigung des Kreditvertrages – ein Anspruch der Bank auf Rückzahlung des Kredits fällig ist oder nicht (BGHZ 171, 38, 41 f Rn.
10). Ein Anspruch der Bank, Gutschriften mit dem Saldo eines Kreditkontos zu verrechnen und dadurch ihre eigene Forderung zu befriedigen, besteht nur dann, wenn sie zum jeweiligen Zeitpunkt
der Verrechnung Rückzahlung des Kredits verlangen kann.

Der Kreditgeber kann die Rückzahlung eines ausgereichten Kredits erst nach dessen Fälligkeit fordern. Allein die Giro- oder Kontokorrent-abrede stellte den der Schuldnerin gewährten Kredit nicht zur Rückzahlung fällig (BGHZ 150, 122, 127; BGH, Urt. v. 1. Oktober 2002 – IX ZR 360/99, ZIP 2002, 2182, 2183). Vielmehr wird die Fälligkeit nur durch das Ende einer vereinbarten Laufzeit, eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung begründet (Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis 7. Aufl. Rn. 6.242). Die Kündigung ist hier erst am 19. November 2003 – und damit nach Rückführung der Kreditlinie um 44.599,46 € – ausgesprochen worden. Hat der Schuldner – wie im Streitfall – den ungekündigten Kontokorrentkredit nicht vollständig ausgeschöpft, führen in der kritischen Zeit eingehende Zahlungen, die dem Konto gutgeschrieben werden, zu einer inkongruenten
Deckung (BGHZ 150, 122, 125 ff; BGH, Urt. v. 17. Juni 1999 – IX ZR 62/98, ZIP 1999, 1271, 1272; Urt. v. 11. Oktober 2007 – IX ZR 195/04, ZIP 2008, 237 Rn. 4).

Die Kongruenz der Kredittilgung kann entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht aus einer Verrechnungsbefugnis der Beklagten hergeleitet werden. Dass diese die Kreditlinie offengehalten hat, macht die Verrechnung nicht kongruent, soweit die Kreditlinie tatsächlich nicht mehr in Anspruch genommen wurde.

Das Kreditinstitut ist im Rahmen des Girovertrages einerseits berechtigt und verpflichtet, für den Kunden bestimmte Geldeingänge entgegenzunehmen und seinem Konto gutzuschreiben. Andererseits hat das Kreditinstitut Überweisungsaufträge des Kunden zu Lasten seines Girokontos auszuführen, sofern dieses eine ausreichende Deckung aufweist oder eine Kreditlinie nicht ausgeschöpft
ist. Setzt das Kreditinstitut unter Beachtung dieser Absprachen den Giroverkehr fort, handelt es vertragsgemäß und damit kongruent (BGHZ 150, 122, 129; BGH, Urt. v. 17. Juni 2004 – IX ZR 2/01, WM 2004, 1575 f).

Vorliegend geht es indessen nicht um die vertragskonforme Abwicklung des Giroverkehrs durch die Verrechnung von Zahlungseingängen mit Zahlungsausgängen. Den Zahlungseingängen zugunsten der Schuldnerin standen unstreitig keine Kontobelastungen infolge an Dritte bewirkter Überweisungen gegenüber. Vielmehr hat die Beklagte sämtliche Zahlungseingänge mit eigenen gegen die Schuldnerin bestehenden Forderungen verrechnet. Demnach betrifft die Anfechtung in vollem Umfang die auf dem Konto der Schuldnerin eingegangenen Zahlungen, welche die Beklagte eigennützig zur Begleichung ihrer Kreditforderung verwendet hat. Anfechtbar sind stets Verrechnungen, mit denen eigene Forderungen der Gläubigerbank getilgt werden (BGHZ 150, 122, 127;
BGH, Urt. v. 11. Oktober 2007, aaO S. 237, 238 Rn. 6). Selbst wenn – anders als im Streitfall – neben den Zahlungseingängen von dem Schuldner veranlasste Überweisungen in eine Kontoverbindung
einzustellen sind, liegt insoweit eine durch die Verrechnung bewirkte anfechtbare Kredittilgung vor, als die Summe der Eingänge die der Ausgänge übersteigt (BGH, Urt. v. 15. November 2007 – IX ZR 212/06, ZIP 2008, 235, 236 f Rn. 15). Die Saldierungsvereinbarung deckt also nicht die endgültige Rückführung des eingeräumten Kredits, sondern lediglich das Offenhalten der Kreditlinie für weitere Verfügungen des Kunden (BGHZ 150, 122, 129). Da die Schuldnerin die ihr von der Beklagten weiter eingeräumte Kreditlinie tatsächlich nicht genutzt und keine Überweisungsaufträge erteilt hat, durfte die Beklagte eingegangene Mittel nicht zu einer Kredittilgung verwenden.

Fazit: Reduziert die Bank den Kontokorrenzsaldo ohne Zahlungen zuzulassen, liegt eine Benachteiligung der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger vor. Die verrechneten Eingängen sind nicht insolvenzfest gesichert war (BGH, Urt. v. 11. Oktober 2007, aaO S. 237 Rn. 4).

BGH 7.5.2009 – IX ZR 140/08


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