Wohnungsdurchsuchung nur bei Anfangsverdacht einer Straftat

Das BVerfG bekräftigt, dass Durchsuchungsbeschlüsse auch in zeitlicher Hinsicht nicht nur auf abstrakten Annahmen gegründet sein dürfen.

1. Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Eingriffsanlass für eine strafprozessuale Wohnungsdurchsuchung ist der Anfangsverdacht einer Straftat. Dieser muss eine Tatsachengrundlage haben, aus der sich die Möglichkeit der Tatbegehung durch den Beschuldigten ergibt. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen genügen nicht. Andererseits muss sich aus den Umständen, die den Anfangsverdacht begründen, eine genaue Tatkonkretisierung nicht ergeben.

2. Das Bundesverfassungsgericht prüft Durchsuchungsanordnungen nur daraufhin nach, ob die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Voraussetzungen eines Verdachts und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des Beschwerdeführers beruhen.

3. Dem mit einer Wohnungsdurchsuchung verbundenen erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Demgemäß muss die Durchsuchung zur Ermittlung und Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich und mit Blick auf den verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sein und in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen.

4. Die Annahme eines Anfangsverdachts bezüglich des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln ist verfassungsrechtlich (noch) nicht zu beanstanden, wenn die einschlägig vorbestrafte Beschuldigte unter den Kontakten im Mobiltelefon eines gesondert Verfolgten gespeichert ist, der laut einer Zeugenaussage mehrfach Fahrten an den Wohnort der Beschuldigten unternommen hat, welche dem Verkauf von Betäubungsmitteln dienten.

5. Liegen die Verkaufsfahrten zum Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung allerdings bereits über 18 Monate zurück, so ist die Anordnung mangels Erfolgsaussicht unverhältnismäßig, wenn der Beschluss nicht darlegt, weshalb ausnahmsweise eine Vermutung dafür bestand, dass gleichwohl noch Beweisgegenstände zum Nachweis des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln – die zum Konsum oder Weiterverkauf bestimmt sind und nach kriminalistischer Erfahrung regelmäßig nur eine geringe Verweildauer beim Ankäufer haben – aufgefunden werden können. Dabei können mögliche Wiederholungstaten in der Folgezeit, die nicht Gegenstand des Ermittlungsverfahrens sind, für die Beurteilung des Auffindeverdachts keine Rolle spielen.

Das BVerFG führte noch einmal die Grundlagen für die Unverletzlichkeit der Wohnung aus:
a) Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Damit wird dem Einzelnen ein elementarer Lebensraum zur freien Entfaltung der Persönlichkeit gewährleistet. In seinen Wohnräumen hat er das Recht, in Ruhe gelassen zu werden (BVerfGE 27, 1 <6>; 51, 97 <107>). In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>). Die daraus sich ergebenden Maßstäbe für die Durchsuchung von Wohnungen sind geklärt.
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aa) Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Eingriffsanlass für Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren ist der Verdacht einer Straftat. Dieser Anfangsverdacht muss eine Tatsachengrundlage haben, aus der sich die Möglichkeit der Tatbegehung durch den Beschuldigten ergibt. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen genügen nicht. Andererseits muss sich aus den Umständen, die den Anfangsverdacht begründen, eine genaue Tatkonkretisierung nicht ergeben (vgl. BVerfGE 44, 353 <371 f.>; 59, 95 <97>; 115, 166 <197 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2008 – 2 BvR 1800/07 -, juris, Rn. 19). Ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts ist nur geboten, wenn die Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Bestimmungen über die prozessualen Voraussetzungen des Verdachts (§ 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 StPO) als Anlass für die strafprozessuale Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des jeweiligen Beschwerdeführers beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 ff.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03 -, juris, Rn. 5). Ob in jeder Hinsicht eine zutreffende Gewichtung vorgenommen wurde oder ob eine andere Beurteilung näher gelegen hätte, unterfällt nicht seiner Entscheidung (vgl. BVerfGE 95, 96 <141>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2008 – 2 BvR 1800/07 -, juris, Rn. 22).

bb) Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Demgemäß muss die Durchsuchung zur Ermittlung und Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich sein; dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Daneben muss die Durchsuchung im Blick auf den verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sein (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>; 115, 166 <198>; BVerfGK 5, 56 <58, 59>). Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>). Hierbei sind auch die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren sowie der Grad des auf die verfahrenserheblichen Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten (vgl. BVerfGE 115, 166 <197>). Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der Durchsuchung entgegenstehen (vgl. BVerfGE 113, 29 <57>; 115, 166 <197>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2008 – 2 BvR 1800/07 -, juris, Rn. 20).

BVerfG 2 BvR 389/13 – Beschluss vom 29. Oktober 2013