Wisente müssen geduldet werden

Das Oberlandesgericht Hamm: OLG Hamm entscheidet in zwei Wisent-Rechtsstreitigkeiten

Mit heute verkündeten Urteilen hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm zwei Zivilrechtsstreitigkeiten über die im Rothaargebirge ausgewilderten Wisente entschieden und dabei aufgezeigt, welche weiteren (rechtlichen) Schritte notwendig sind, um den Streit der Parteien über die ausgewilderten Wisente abschließend zu entscheiden.

In den Rechtsstreitigkeiten klagen zwei Forstwirte aus Schmallenberg gegen den zum Zwecke der Auswilderung und Erhaltung von Wisenten im Rothaargebirge gegründeten Verein.

In beiden Fällen hat der Senat

• den beklagten Verein verurteilt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass die freigelassenen Wisente und deren Abkömmlinge die auf den klägerischen Waldgrundstücken wachsenden Bäume – insbesondere Buchen – durch Schälen der Baumrinde oder auf andere Weise beschädigen,

und die Verurteilung zugleich

• unter den Vorbehalt gestellt, dass dem beklagten Verein für die von ihm beabsichtigten Maßnahmen zur Störungsbeseitigung die nach § 45 Abs. 7 Bundesnaturschutzgesetz erforderlichen Ausnahmegenehmigungen durch die nach Landesrecht für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden erteilt werden.

In einem Fall hat der Senat zudem die Verpflichtung des Vereins festgestellt, dem Kläger bis zum Ende der Freisetzungsphase die ihm durch die Wisente an den Bäumen seines Grundbesitzes zugefügten Schäden zu ersetzen.

Die weitergehenden, u.a. auf eine vorbehaltlose Verurteilung des Vereins gerichteten Klagebegehren sind erfolglos geblieben.

Zu Begründung der Urteile hat der Senat insbesondere auf folgende Punkte hingewiesen:

1. Der Anspruch der Kläger ergebe sich aus § 1004 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Indem die Wisente die Grundstücke der Kläger betreten und dort die Buchen schälen würden, beeinträchtigten sie das Eigentum der Kläger. Insoweit bestehe Wiederholungsgefahr. Für die Beeinträchtigung sei der beklagte Verein als Störer verantwortlich. Er habe die Wisente ausgewildert, ihre Vermehrung gefördert und sei in der Lage, die Tiere einzufangen und zu immobilisieren, was künftige Beeinträchtigungen verhindern könne.

2. Allerdings seien die Kläger verpflichtet, die von den Wisenten ausgehenden Störungen zu dulden, sofern dem beklagten Verein keine – nach naturschutzrechtlichen Bestimmungen zu beurteilende – Ausnahmegenehmigung für die zu treffenden Maßnahmen erteilt werde.

a) Die grundsätzliche Duldungspflicht der Kläger ergebe sich aus dem Naturschutzrecht. Einschlägig sei die Vorschrift des § 44 Abs. 1 Nr. 1 Bundesnaturschutzgesetz, die es dem beklagten Verein (vorbehaltlich einer Ausnahmegenehmigung) verbiete, wild lebenden Tieren besonders geschützter Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten, woraus auch die Duldungspflicht der Kläger folge.

b) Die genannte Vorschrift des Bundesnaturschutzgesetzes verdränge als das speziellere Recht das landesrechtlich geregelte Jagdrecht. Auch der beklagte Verein könne sich auf die Vorschrift des Bundesnaturschutzgesetzes berufen. Abgesehen vom Nachstellen und Fangen gebe es keine anderen geeigneten Maßnahmen zur Verhinderung der infrage stehenden Eigentumsbeeinträchtigungen, die ihrerseits nicht gegen das Bundesnaturschutzgesetz oder andere Normen verstießen.

c) § 44 Abs. 1 Nr. 1 Bundesnaturschutzgesetz schütze die ausgewilderten Wisente. Sie seien eine besonders geschützte Art und auch wild lebend im Sinne der Vorschrift. Dass zunächst gezüchtete Tiere freigelassen worden seien, stehe dem nicht entgegen. Gezüchtete Exemplare wild lebender Arten könnten herrenlos werden, die Freiheit und mit ihr als wild lebend den Naturschutz erlangen. Die freigelassenen Wisente und auch ihre späteren Abkömmlinge seien heute herrenlos und wild lebend. Das folge aus den für diese rechtliche Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnissen.

3. In den vorliegenden Fällen kämen jedoch Ausnahmen von der Duldungspflicht in Betracht.

a) Es bestehe die Möglichkeit, dass eine Ausnahmegenehmigung zu Verfolgung der Wisente gemäß § 45 Abs. 7 Bundesnaturschutzgesetz erteilt werde. Ausgehend hiervon könne sich der beklagte Verein nicht auf das Verbot des § 44 Abs. 1 BNatSchG berufen, wenn öffentlich-rechtliche Ausnahmen zugelassen werden könnten, die er mit Aussicht auf Erfolg beantragen könne. Deswegen erfolge seine zivilrechtliche Verurteilung zur Verhinderung der infrage stehenden Eigentumsbeeinträchtigungen unter dem Vorbehalt einer zuvor erteilten Ausnahmegenehmigung. Über die Ausnahmegenehmigung selbst könne nicht das Zivilgericht, sondern nur die zuständige Naturschutzbehörde entscheiden.

b) In den zu entscheidenden Fällen halte der Senat – das sei im Zivilprozess zu prüfen – eine Ausnahmegenehmigung im Sinne von § 45 Abs. 7 Bundesnaturschutzgesetz für möglich. Um deren Erteilung habe der beklagte Verein daher die zuständige Behörde zu ersuchen. Das Bundesnaturschutzgesetz lasse die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung u.a. zu, wenn erhebliche forstwirtschaftliche Schäden drohten, was beim Kläger der Fall sein könne. Im insoweit durchzuführenden Genehmigungsverfahren sei diese Frage abschließend zu prüfen und zu beurteilen.

4. Der Senat hat in beiden Fällen die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

Oberlandesgerichts Hamm vom 29.05.2017 (5 U 153/16 und 5 U 156/16), nicht rechtskräftig.

Quelle
Christian Nubbemeyer, Pressedezernent


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