Erlebten Lieferservice einer Online bestellten Ware

Die Hinter Letzte“ Spedition

Von Eva Molnar

Todd und ich wohnen seit kurzem zusammen. In einer deutschen Großstadt. Nachdem sein alter Waschtrockner eines Tages den Geist aufgab, und trotz Monteur und guten Zuredens von seinem wohlverdienten Ableben Gebrauch machte, bestellte Todd, bekennender Internet- Junkie, sofort einen neuen, natürlich bei einem Online Shop, der sich im Beinamen mit dem Wort „Service“ beschrieb. Wir bekamen per E-mail eine Benachrichtigung, dass das Gerät nun versandt worden wäre. Die Lieferung würde durch die allseits bekannte und beliebte Spedition „Die Hinter Letzte“ stattfinden. Todd mailte mir die Bestätigung zu, und verschwand auf eine Geschäftsreise in die U.S.A.

So nahm ich wohlgemut und in Vorfreude auf die Rettung vor Waschsalons auch den Anruf der Spedition entgegen, die die Nummer einer benachbarten größeren Stadt anzeigte, die unter anderem bekannt ist für ihre Massierung an Logistik-Unternehmen. Eine durchsetzungskräftige Stimme stellte sich mir als Frau Galvanis vor:

„Sind Sie morgen da? Wir wollen Ihr Gerät liefern.“

Erfreut bejahte ich die Frage. Gerade setzte ich an, um mit Frau Galvanis über einen Termin zu sprechen, als es durch den Hörer schoss:

„Wir liefern dann zwischen 8 und 13 Uhr!“

„Zwischen 8 und 13 Uhr? Da kann ich nicht, da bin ich bei meinem Verleger“ erwiderte ich.

„Dann Mittwoch!“

„Mittwoch bin ich in Frankreich, für eine Woche“, wagte ich vorsichtig ob so viel Dominanz zu sagen:„Geht es denn nicht morgen um 15 Uhr?“

„Lieferzeiten sind 8 – 13 Uhr“ klang es genervt aus dem Hörer.

Ich pampte zurück: „Dann muss es wohl noch eine Woche bei Ihnen stehen bleiben!“

Eine triumphierende hämische Stimme schallte: „Wohl kaum. Wir schicken das Ding innerhalb von vier Tagen zurück!!!“

Ich dachte nach. Sollte ich hinfahren und Galvanis erwürgen, oder lieber meine Vermieterin bitten, die Lieferung anzunehmen? Ich beschloss, dass die Vermieterin die bessere Lösung war, und bot an:

„Nun, dann muss ich wohl meine Vermieterin darum bitten, die Wohnung aufzuschließen, wenn es dann gar nicht bei Ihnen geht!“

„Na wenn die dann Spaß dran hat das Ding in die Wohnung zu schleppen…mir soll’s recht sein. Wo soll der Fahrer klingeln?“

Bei mir klingelte auch etwas, nämlich die Alarmglocken. „Wieso reinschleppen?“ Ich hakte nach.

„Wieso sollte sie das denn reinschleppen? Sie liefern doch bis in die Wohnung!“

„Wir liefern bis zur Bordsteinkante!“

Ich begann zu zittern (das tue ich immer, wenn ich mich aufrege).

„Wie bitte? Dann möchte ich jetzt noch den Hochbringservice dazu buchen, bitte.“

„Haben wir nicht, geht nicht, gibt es nicht, ist Standard so“ galvanisierte es durch den Hörer.

Mir blieb die Luft weg. Ich nahm all meinen Mut zusammen und überlegte eine Deeskalations-Strategie, da Galvanis offensichtlich am längeren Hebel saß. Ich säuselte:

„Hmm, dann kann ich dem Fahrer doch sicherlich einen Schein in die Hand drücken, und er trägt es mir hoch?“

Domina Galvanis bemerkte wohl meine Hilflosigkeit und entschied, noch einen draufzulegen und ihren Montagmorgen-Frust vollständig an mir abzureagieren:

:

„Mein Gott, noch mal: WIR LIEFERN BIS ZUR BORDSTEINKANTE! Wenn Sie Glück haben, stellt er es Ihnen noch in eine ebenerdige Garage!“

Ich wurde wütend:„ Und wie stellen Sie sich das bitte vor? Wie soll ich das Ding alleine in den zweiten Stock tragen? Soll es etwa eine Woche auf dem Bürgersteig stehen bleiben?“

„Allgemeine Speditionsbedingungen. Ist nicht mein Problem!“ schockfrostete es durch die Leitung.

Zähneknirschend gab ich auf. „Gut, dann kommen Sie halt morgen.“

Ich stürzte zu meinem PC und rief mir das Wort Galvanis im Internet auf. Ich fand „Galvanotechnik, auch „Elektroplattieren“ genannt“. „Ha!“, dachte ich, „Nomen est Omen“, ich habe zwar keine Ahnung was Elektroplattieren ist, aber Domina Galvanis war anscheinend schon durch ihren Namen dazu prädestiniert, andere platt zu machen, mittels unfairer Methoden wie Elektrizität. Ich musste es also nicht persönlich nehmen.

Ich rief Sancho an.

„Sancho, wo bist Du?“

„Spanien, wieso?“

Ich erklärte ihm meine Nöte.

„Tja, dann bleiben Dir nur zwei Möglichkeiten. Entweder Du nimmst das Ding nicht an, oder Du bittest den Fahrer, es Dir gegen einen Obulus in die Wohnung zubringen. Damit machst Du Dich aber strafbar. Das ist ein Schwarzgeldgeschäft! Bei so was steht man immer mit einem Bein im Gefängnis! Hihi, und wenn es auf dem Bürgersteig steht, kriegst du vielleicht noch ein Knöllchen wegen unerlaubter Nutzung des Bürgersteigs, oder Falschparkens!“

„Herzlichen Dank für Deine Hilfe und die tolle juristische Belehrung“ zischte ich ins Telefon und knallte wutentbrannt den Hörer auf. Ich rief Todd an. Er tröstete:

„Ist doch alles nicht so schlimm, da ziehst Du Dir morgen was Nettes an, wackelst ein bisschen mit dem Hintern, wedelst mit einem Schein, und dann trägt er Dir das rauf.“

„Supertipp!“ dachte ich bei mir, wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Ich verkniff mir jeglichen Kommentar.

Und so sagte ich den Termin mit meinem Verleger ab (ganz toll, den nächsten freien Termin gab es erst in 2 Monaten!), und harrte nun des Fahrers, der da am nächsten Tage kommen sollte.

Am nächsten Morgen um fünf Minuten nach acht klingelte mein Handy. Eine aufgeräumte Männerstimme flötete in mein Ohr:

„Guten Morgen! Hier ist Faisal! „Die Hinter Letzte“! Ich bin in fünf Minuten bei Ihnen!“

Begeistert äußerte ich ein „Oh wie prima“ und sprang in meine Jeans. Aufgeregt sah ich aus dem Fenster. Fünf Minuten verstrichen. Kein Faisal. Aber Faisal rief mich an:

„Wo wohnen Sie denn? Mein Navi findet das nicht!“

Ich gab Faisal noch einmal die genauen Koordinaten durch. Zehn Minuten später immer noch kein Faisal. Aber Faisal rief mich an:

„Mann, oh Mann eh, ich hab mich hier total verfahren!!! Was für eine Scheiße, eehhh! Wie komme ich denn jetzt hier wieder raus? Scheiße, Mann! So eine Scheiße, eeehhh!!!“

Faisal klang nun gar nicht mehr aufgeräumt. Auch fünf Minuten später kein Faisal. Aber Faisal rief mich an:

„Oh Mann, der Chef wird mich killen!!! Das ist ja echt das Allerletzte hier! Wie komme ich denn zu Ihnen? So ne Scheiße!“

Zwei weitere Anrufe von Faisal später sank ich entmutigt auf meinem Stuhl zusammen. Das ging ja gut los. Ich sah aus dem Fenster. Da stand Faisal. Mit seinem „Die Hinter Letzte“ LKW. Ich packte meinen Schlüssel, einige Scheine, und rannte die Treppe hinunter, bereit, nun sehenden Auges eine Straftat zu begehen.

Faisal stand auf der Laderampe seines LKW, der vollgeladen war mit Traktorenreifen. Ich ging näher heran, setzte mein Sonntagslächeln auf und wagte ein fröhliches „Guten Morgen! Faisal?“

Faisal drehte sich um und blickte mich an.

Ich konnte es kaum glauben. Faisals Gesicht war tränenüberströmt. Er stotterte:

„So ein Mist hier, was ist das denn alles hier drin, ooh Mann, der Chef wird mich killen! Wo soll das hin?“ Er wischte sich die Tränen mit seinem Jackenärmel weg und fluchte weiter vor sich hin.

Ich sah meine Chancen auf ein Hochtragen der Maschine sekündlich schwinden. Faisal lud die Maschine ab und karrte sie bis vor das Haus. Ich dachte bei mir: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“, legte den Kopf zur Seite, sah ihm in die Augen und sagte:

„Was kostet das denn, wenn Sie mir das Ding nach oben bringen?“

Faisals Tränenaugen sahen mich an und er schnupfte:

„Mann, ich muss los, der Chef wird mich killen. Das kann ich echt nicht machen. Nee..eeehh Scheiße, eeeh! Lieferung ist Bordsteinkante. Ich stelle Ihnen das aber eben noch in den Hausflur! Hier unterschreiben! Muss weg! So ne Scheiße, Mann, eeh!“

Faisal sprang in seinen LKW und verschwand. Da stand ich nun mit einem Riesenkarton auf einer Palette, der alle Briefkästen im Hausflur versperrte, und war versucht zu denken: Ooh Scheiße ehhh!“ Spaß beiseite, ich dachte natürlich: Ganz toll! Und jetzt ?“.

Mir kam eine blendende Idee. Das war die Chance, endlich alle Nachbarn kennen zu lernen, war ich doch gerade erst dorthin gezogen. Im Haus meldete sich nur der alte Herr von gegenüber. So klapperte ich alle Geschäfte in der Nachbarschaft mit männlicher Besetzung ab. Selbst in dem Bistro, in dem ich regelmäßig Umsatz mache, wurde ich auf meiner Frage nach Nachbarschaftshilfe abgefertigt mit einem spitzen Spruch: „Die Jungs sind in der Küche und kochen. Die haben keine Zeit“. Ich machte mir eine mentale Notiz, hier nie wieder, unter gar keinen Umständen Umsatz zu machen, und wählte entmutigt Todds Nummer in den U.S.A..

„Todd, keiner will die Maschine hochbringen! Was soll ich denn jetzt machen?“ schluchzte ich ins Telefon.

Todd schwieg. Eine Minute verging. „Todd, bist Du noch dran? Todd???“

„Ave, in dreißig Minuten kommt Steve mit zwei Jungs vorbei, die tragen Dir das hoch! Bin jetzt im Meeting. Kuss!“

Todd kann manchmal ein echter Held sein!

1. Nachtrag:

Nun, die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Steve kam, die Jungs trugen das Ding hoch, wir packten es aus, das Bullauge war kaputt, die Maschine gebraucht statt neu, und Todd liegt nun im Rechtstreit mit dem Online angeblich Service Shop. Aber das soll gar nicht mein Punkt sein.

Was mich wundert ist, dass es anscheinend 80 Millionen Deutsche tolerieren, dass es keinen Service mehr gibt. Dass sich anscheinend 80 Millionen Deutsche einen halben Tag frei nehmen müssen, oder es sogar gerne tun, um auf eine Lieferung von Speditionen wie „Die Hinter Letzte“ , „Deppert Hält Länger“ oder „Dämliche Hanswürste Logistik“ zu warten, und es bereitwillig hinnehmen, einen Kühlschrank oder eine Schrankwand vom Bürgersteig auflesen zu müssen? Und sich bereitwillig von einer Domina Galvanis erpressen lassen? Ist es das, was wir Deutsche wollen? Ist es uns peinlich, wenn jemand anderer die Sachen hoch trägt? Sind wir zu geizig, um so einen Service dazu zu buchen? Oder lassen wir uns einfach von geldgierigen, auf Minimalstandard getrimmten Unternehmen einreden, dass das normal ist? Standard halt? Was ist das denn für ein Standard? Der niedrigst-mögliche Standard? Dann sage ich Ihnen etwas: Ich pfeife auf Standard. Ich will keinen Standard! Ich will Service!

2. Nachtrag von Todd:

Die defekte Maschine wurde vom Online Shop zurückgenommen und mit Eingang der defekten Maschine würde die neue Maschine versandt. Dieses mal kamen die Fahrer „Die Hinter Letzte“ zu Zweit. Packten die Maschine wieder in die Kartons und holten sie aus dem kleinen Kabuff der Wohnung im 2. Stock und luden sie in ihren LKW. Einige Tage später wurde die neue Anlieferung avisiert und auch dieses mal kamen sie zu Zweit und stellten die Maschine wieder – freundlichst ausgepackt – ( schließlich war bei Abnahme zu kontrollieren, dass die Waschmaschine äußerlich keine Schäden aufwies ) wieder in das Kabuff. GEHT DOCH!

In diesem Sinne. Ave Maria!

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