Anspruch auf rechtliches Gehör

Der Bundesfinanzhof hat sich in seiner Entscheidung vom 25.5.2011 – VI B 3/11 mit dem Anspruch auf Anspruch auf rechtliches Gehör zu beschäftigen. Hier waren einer Partei in einem bereits 2 Jahre dauernden Verfahren seine Prozeßunterlagen abhanden gekommen und begehrte die Erteilung von Ausfertigungen, Auszügen, Ausdrucken und Abschriften.

Der Bundesfinanzhof definiert noch einmal die Grundsätze, die auch von anderen Gerichten gleichermaßen zu beachten sind, obwohl feststellt werden kann, dass dieses verfassungsrechtlich abgesicherte Recht wiederholt mit Füßen getreten wird.

Gründe
Die Beschwerde ist zulässig und nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht –FG– (§ 116 Abs. 6 FGO).

1. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Anspruch des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes –GG–) und stellt eine Rechtsverletzung i.S. von § 119 Nr. 3 und Nr. 4 FGO dar.

a) Durch die Weigerung, dem Kläger seine Klageschrift vom 9. Februar 2008 in Kopie zu übersenden oder auf andere Art und Weise etwa durch Einsichtnahme der Gerichtsakte gemäß § 78 FGO zugänglich zu machen, hat das FG Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das Gebot rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet ein Gericht nicht nur, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, sondern auch, die Beteiligten über die entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zu informieren. Eine Art. 103 Abs. 1 GG genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass sich die Verfahrensbeteiligten bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt über den gesamten Verfahrensstoff informieren können (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts — BVerfG– vom 8. Juni 1993 1 BvR 878/90, BVerfGE 89, 28 <35>, m.w.N.). Das Gebot rechtlichen Gehörs sichert daher den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten im Prozess selbstbestimmt und situationsspezifisch gestalten können (vgl. BVerfG-Beschluss vom 29. November 1989 1 BvR 1011/88, BVerfGE 81, 123
<129>).

Zum Recht auf rechtliches Gehör gehört daher auch die Möglichkeit der Akteneinsicht (vgl. BVerfG-Beschluss vom 19. Januar 2006 2 BvR 1075/05, Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 7, 205 <212>; Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 78 Rz 1a), die das Recht auf die Erteilung von Ausfertigungen, Auszügen, Ausdrucken und Abschriften (§ 78 Abs. 2 FGO) umfasst. Prozessrechtliche Gründe, die es gerechtfertigt hätten, dem Kläger
seine Klageschrift vom 9. Februar 2008 nicht zugänglich zu machen, sind nicht ersichtlich, wenn diese wie behauptet beim Kläger –mehr als zwei Jahre nach Klageerhebung– in Verstoß geraten ist. ( Anm. des Autors: dies gilt erst recht, wenn Gerichte nicht oder nur unvollständig Abschriften und Hinweise erteilen, die der Partei nicht bekannt gemacht wurden )
Damit verletzt das angefochtene Urteil des FG Art. 103 Abs. 1 GG.

b) Der Gehörsverstoß ist auch nicht durch Rügeverzicht unbeachtlich geworden.
Ein verzichtbarer Verfahrensmangel wie die Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht kann zwar nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dann nicht mehr als Gehörsverstoß gerügt werden, wenn der Beteiligte darauf verzichtet hat (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung). Das Rügerecht geht bei solchen Verfahrensmängeln nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge. Ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich. Diese Folge wird vom BFH 1allerdings nur für den Fall angenommen, dass der Kläger –anders als im Streitfall– rechtskundig vertreten ist (BFH-Beschlüsse vom 29. Oktober 2004 XI B 213/02, BFH/NV 2005, 566, und vom 27. September 2007 IX B 19/07, BFH/NV 2008, 27; so auch Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 78 FGO Rz 172; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 103).