In der letzten Zeit scheinen einige Staatsänwälte und Polizeibeamte sich profilieren wollen und nehmen zu Fahndungen, Durchsuchungen und Verhaftungen gleich die Presse mit.
Ob Zumwinkel oder Pooth…! Bei Ersterem kann man vielleicht noch von einem gewissen öffentlichen Interesse sprechen, schließlich war er Aufsichtsrat eines Weltkonzern. Bei Pooth war es sicher eine Privatangelegenheit aber nun bei der Sängerin wird die Privatshäre in erheblichster Weise verletzt und sie auch noch in Haft gehalten mit dem Argument der Wiederholungsgefahr…. Dabei weiß doch nun heute JEDER, der liest, dass diese Sängerin HIV infiziert ist.
Bild: Staatsanwalt Ger Neuber
Das Thema lautet also richtig: KRIMINELLER STAATSANWALT
Hier der vollständige Artikel aus das FAZ! LESENSWERT!!
HIV & Öffentlichkeit
Der Staatsanwalt in meinem Bett
19. April 2009 Am Dienstagnachmittag wurde ich von seriösen Medien unter Berufung auf eine deutsche Behörde über die schwere Erkrankung und das Sexualverhalten einer lebenden, mir persönlich nicht bekannten Frau unterrichtet, und zwar gegen deren Willen. Das ist neu: Nie zuvor wurden in so kurzer Zeit derart intime Informationen aus mehreren, die Menschenwürde betreffenden Bereichen über eine öffentlich bekannte Person ohne deren Mitwirkung publik.
Die Beschützer
Das Wissen, über das ich plötzlich und unerwartet verfügte, hätte ich aktiv nie erwerben können: Ein Journalist, der bei Ärzten anruft, um etwas über die Erkrankung einer bestimmten Patientin zu erfahren, ist ebenso seinen Job los, wie ein Arzt, der einen Journalisten anruft. Ausgesetzt wurde ich dieser informationellen Überdosis aber, wenn ich das richtig verstanden habe, zu meinem eigenen Schutz. Ui, ui, ui.
Die Geschichte, die da ausgebreitet wurde, war ein Thrillerplot. Ein Urteil lag zeitlich wie beweismäßig noch in weiter Ferne, doch augenblicklich ging in den Köpfen aller Leser das Licht aus, und es begann ein spannender Film. Tage später sollte der SPD-Abgeordnete Siegmund Ehrmann ihn in der „Bild“-Zeitung wie folgt zusammenfassen: „Wenn jemand seinen Körper als Bio-Waffe einsetzt, ist umfassende Berichterstattung ein dringendes öffentliches Anliegen und wichtiger als die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen.“
Wenn das Wörtchen wenn nicht wär’ . . . wird aus der entfesselten Biowaffe gegen alle deutschen Männer bloß eine Frau, die ein Ex-Freund angezeigt hat. Drückt man kurz auf die mentale Stopptaste, verfliegt jeder Thrill; übrig bleibt deutsche Tristesse: Dass diese sechsundzwanzigjährige Mutter einer zehn Jahre alten Tochter mit HIV infiziert sein soll, ist eine erschütternde Nachricht, und dass ein weiterer Mann es ist, ebenfalls. Beides zum Heulen.
Alles redet, alles meint
Doch die öffentliche Diskursmaschine läuft nach solchen Informationen, gedopt mit all den Bildern und befeuert von der Privatmeinung, die jeder und jede sich über gecastete Girlbands gebildet hat, sofort auf allerhöchsten Touren. Schlichte Erschütterung oder Sorge kann da nicht mehr reichen, es muss mit voller Power gemutmaßt, gefordert und vor allem geforscht werden.
Justiz, Medizin und Medien entfesselten in diesem Fall einen foucaultschen Albtraum und nahmen gleich das Virus ins Visier. Die ihn beherbergenden Menschen wurden weggezoomt wie die Kontinente bei Google Earth. Das Virus sollte extrahiert, analysiert und schließlich identifiziert werden. Das war ja die Information, die bald nach der Festnahme kursierte, dass das jetzt wissenschaftlich möglich ist: HI-Viren zu vergleichen.
Sie werden sich aufreihen müssen wie bei den Gegenüberstellungen in den amerikanischen Polizeifilmen. Schön. Das ist bekanntlich die beste Antwort auf eine tödliche Infektionskrankheit: Mehr Gerichtsverfahren! Strafverfahren und Schadensersatzklagen, exakt das, was das Leben lebenswert macht.
Medien und Justiz im Taumel
Fast alles können unsere perfektionierten und hochleistungsfähigen Subsysteme Medien und Justiz, nur eines nicht: befinden, dass ein Sachverhalt, eine Geschichte nicht zu ihnen passt, dass ihre Instrumente dort nicht greifen, weil diese Fälle von nichts anderem als der Tragik der Conditio humana erzählen und also am besten zum Gegenstand der Literatur oder der Philosophie taugen.
Aber der Forscherfleiß ruht nicht, auch wenn diese Art der Industrie nicht zum Thema passt. Nicht jeder Kindsmord lässt sich mit Hinweisen auf die deutsche Geschichte erklären, oft nicht einmal mit Hinweis auf die Biografie der Angeklagten. Und doch wird es natürlich versucht: ausforschen, ausleuchten, alles im Namen der Prävention.
Gleiche hilflose Reaktion nach einem Amoklauf: Da werden vom politisch-legislativen Apparat die Gesetze verschärft – irgendwelche Gesetze –, von der Medienmaschine aber alle Details des Familienlebens ausgeforscht. Jede Begebenheit erscheint im Nachhinein als verkanntes Zeichen. Denn jede Geschichte braucht eine Moral. Wozu hat man all die modernen Informationsgewinnungsmethoden, wenn am Ende keine Moral herauskommt?
Die Frau las auch noch!
Im Falle dieser behaupteten Infektionsübertragung verfällt die Staatsmacht auf den Gedanken, eine ihrer Überzeugung nach Kranke Jahre nach den ihr unterstellten Taten zu verhaften, und auch hier wird medial wild in der Vergangenheit geforscht.
Das führende Onlineportal hatte sogar „einen Insider“ aufgetan, der zu berichten wusste, dass die Frau unter ihren Kolleginnen auffällig war, denn: „Man sah sie fast nie ohne ein Buch in der Hand!“ Kulturhistoriker erinnerte das an die große amerikanische Fernsehserie „Dallas“. Da wurde einmal erzählt, wie es Nichte Lucy sehr schlecht ging, sie aber nichts sagte, nur Miss Ellie erkannte es an diesem untrüglichen Indiz: „Lucy, du liest?“
Ein Filmbericht auf stern.de wies den naiven Beobachter durch eine Zeitlupe auf eine Szene hin, in der viele Bandmitglieder fröhlich sind, dieses aber aus dem Fenster blickt. Merke: Wer mit einem Buch in der Hand aus dem Fenster blickt, macht sich doppelt verdächtig. Der kann im Büro von MdB Ehrmann eigentlich gleich das T-Shirt „Achtung Biowaffe“ bestellen!
Entfesselter Wahnsinn
Juristen und Journalisten stoßen bei solchen Fällen an ihre Grenzen und sollten sich demütig zeigen. Sie tun aber – blind vor allerbesten Absichten – das Gegenteil, wie Waschbären, die Zuckerwatte bekommen: Je mehr sie sie eintauchen, desto weniger haben sie zwischen den Pfoten, das macht sie ganz kirre, und sie waschen noch heftiger.
So wird der Wahnsinn entfesselt. In der ARD-Sendung „Brisant“ vom 14. April erklärte der Staatsanwalt Ger Neuber: „Wir haben festgestellt, dass die junge Frau, die selbst HIV-positiv ist, ungeschützten Geschlechtsverkehr mit mindestens drei Personen hatte.“
Aha. Wer ist wir? Die einzige Art, den Ablauf einer sexuellen Handlung festzustellen, ist, dabei zu sein. Fand das, wie die Ziehung der Lottozahlen, unter notarieller Aufsicht statt?
Sex vor Gericht
Gemeint war vielleicht, dass Aussagen vorliegen, die solch ein Verhalten behaupten. Aber es wäre doch auch menschenmöglich, dass es dazu eines Tages eine gegenteilige Aussage gibt. Was aber taugt ein Verfahren, bei dem es in der Natur der Sache liegt, dass es nicht zu entscheiden sein wird, weil Aussage gegen Aussage steht: Sexualität ist halt eine recht intime Angelegenheit, die sich der gerichtsverwertbaren Ausforschung durch die juristischen, medizinischen und eben auch publizistischen Diskurse entzieht.
Wie soll so ein Prozess überhaupt aussehen? Mit Schrecken ahnt man einen multimedial begleiteten forensischen Zirkus mit richterlich angeordneten Blutabnahmen, Virussequenzen im Videobeamer und widersprüchlichen Zeugenaussagen, eine Wiederauflage des grotesken Prozesses gegen den Moderator Andreas Türck, mit dem die hessische Justiz schon einmal unter Verfolgung bester Absichten die Nation einem Stresstest der Peinlichkeiten ausgesetzt hatte.
Was soll also das Ganze?
Dieses Verfahren könnte noch verrückter werden. Die Staatsanwaltschaft hat sich mit ihrem pausenlosen Getöse in eine völlig unmögliche Position manövriert: Entweder war die junge Frau tatsächlich eine wandelnde Waffe, wegen der mit dem Abgeordneten Ehrmann unbedingt ABC-Alarm hätte gegeben werden müssen; dann kann man aber nur darüber staunen, dass die Staatsanwälte ein Dreivierteljahr brauchten, um sich schützend vor den Volkskörper zu werfen.
Oder unsere Gefährdung war doch nicht so akut, schließlich liegen die von der Staatsanwaltschaft so eindrucksvoll „festgestellten“ Geschlechtsakte Jahre zurück. Warum dann aber das Drama und vor allem die Haft? Jede Wiederholungsgefahr war spätestens ab Mittwoch früh gebannt, als es, mit dem Erscheinen der „Bild“, in Deutschland schlicht keine Männer mehr gab, die nicht von der Ansteckungsgefahr wussten. Spätestens dann hätte sie freikommen müssen.
Was soll die ganze Sache? Worin besteht das öffentliche Interesse an diesem Strafverfahren?
Prävention ist nicht Aufgabe der Justiz
Im Umgang mit eigenen, sogar ansteckenden Krankheiten neigen Menschen mehr als sonst ohnehin schon zu irrationalem Verhalten. In der Sexualität sowieso. Wo beides zusammentrifft, muss man wünsche, dass Infizierte sich stets vorbildlich verhalten und in jedem Moment so reden, wie es der Bundesgesundheitsminister empfiehlt. Man wird das aber nicht durch Angst vor Strafverfolgung erreichen, die noch zur Angst vor der Krankheit und vor dem Tod hinzutritt – ein Panorama des Schreckens, dem man sich am leichtesten und fatalerweise durch Verdrängung entziehen kann.
Wer sich nicht testen lässt, kann auch nicht belangt werden. Also wird der Schwarzmarkt der HIV-Tests blühen, deren Resultate nirgendwo dokumentiert sind. Grundsätzlich gilt: Viren und ihre Opfer sind Sachen von Ärzten, nicht von Staatsanwälten. Prävention ist die Aufgabe von Stiftungen und Selbsthilfegruppen, nicht der Justiz. Die Vorstellung, wie Ermittler sich mühen, diverse Sexualakte von vor drei bis sechs Jahren zu rekonstituieren, taugt für eine Justizsatire, ein Gustave Flaubert hätte solch einen Stoff geliebt.
Das rechtliche Verfahren hat kaum begonnen. Die Demütigung dieser Frau, über die ich nun so viel mehr Informationen habe, als sie und ich möchten, ist hingegen auf einmalige Art vollendet.
Text: F.A.Z.