Bore out

Das Hamsterrad dreht sich tagein, tagaus, doch es passiert nichts: Ein neues Phänomen geistert durch die deutsche Arbeitswelt: Bore-out statt Burn-out, ausgelangweilt statt ausgebrannt. Von Bore-out gefährdet sind Menschen, die chronisch unterfordert und gelangweilt sind.

Das Bore-out-Phänomen: Langeweile im Job kann gefährlich sein.

Bore-out klingt nach Wortspielerei, nach Modediagnose, aber ist mehr – es macht aufmerksam auf oft vergessene Seiten der Arbeitswelt. „Unzufriedenheit am Arbeitsplatz durch Unterforderung ist ein Tabu, und eben dieses wollten wir brechen“, sagt der Schweizer Unternehmensberater Philippe Rothlin. Zusammen mit seinem Kollegen Peter Werder schrieb er das Buch „Diagnose Boreout“. Schon der Untertitel verrät, dass es die Schweizer ernst meinen: „Warum Unterforderung im Job krank macht“.

Von Bore-out gefährdet sind demnach Menschen, die am Arbeitsplatz chronisch unterfordert, gelangweilt, desinteressiert sind – aber durch Verhaltensstrategien stets die Fassade aufrechterhalten: Ich bin beschäftigt, ich habe viel zu tun. Da werden Sitzungszimmer für private Gespräche reserviert, Mitarbeiter bleiben länger im Büro, auch wenn sie eigentlich nichts zu tun haben, oder nehmen die nicht vorhandene Arbeit in Aktenkoffern mit nach Hause, immer nach dem Motto „Lieber ausgebrannt erscheinen als ausgelangweilt“.

Aber gerade diese Mischung aus Unzufriedenheit und tagtäglichem Selbstbetrug mache Bore-out so gefährlich, sagt Rothlin: „Die Betroffenen fühlen sich ausgelaugt, unzufrieden und sind frustriert, weil die Anerkennung fehlt, weil sie ihr Wissen nicht anwenden können.“

Folgen sind innere Kündigung, Krankheiten, Alkoholmissbrauch

Für Rüdiger Trimpop, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Universität Jena, ist Bore-out nichts Neues. „Da hat nur jemand einen eigenen Namen gebastelt – im Prinzip geht es um die gut erforschte Tatsache, dass beispielsweise Angestellte in Verwaltungen sehr schlecht motiviert sind“, sagt Trimpop. Denn es mangele bei diesen Tätigkeiten oft an vielem, was Arbeit interessant macht: Vielfalt, Bedeutung, Autonomie, direkte Rückmeldung – und dies kann zu Unterforderungsstress führen, mit den gleichen negativen Folgen wie Überforderung. „Es kommt zur inneren Kündigung, zu Krankheiten, Alkoholmissbrauch. Auch das Selbstwertgefühl wird stark angekratzt.“

Für die Schweizer Unternehmensberater beschränkt sich Bore-out aber nicht auf die Verwaltungen, sie sehen darin ein Phänomen der gesamten Dienstleistungsgesellschaft. „Ein Maurer kann nicht so tun, als ob er eine Mauer hochzieht“, sagt Rothlin. Dagegen könne man in vielen Bürojobs seinen Arbeitsaufwand steuern, auch dank der Digitalisierung der Büros. „Wir gehen davon aus, dass mindestens 15 Prozent der Arbeitnehmer im Dienstleistungssektor von Bore-out betroffen sind.“

„In Deutschland wird auf der Arbeit zu viel vorgeschrieben, auch gut ausgebildeten Leuten“, sagt der Wirtschaftspsychologe Christian Dormann von der Universität Mainz. Wer aber seine Arbeit nicht mitgestalten kann oder nur uninteressante Projekte zugeteilt bekommt, der hat zwar genug Arbeit, aber über kurz oder lang entwickelt er einen Widerwillen gegen die Tätigkeiten, und es kann zu einer paradoxen Situation kommen: Der Chef brennt aus, der Mitarbeiter langweilt aus. „Für mich bedeutet Burn-out nicht mehr können und Bore-out nicht mehr wollen“, sagt daher der Wirtschaftspsychologe.

Im Hamsterrad treten, ohne Effekt

Für Christian Timmerhoff, Fachreferent für betriebliches Gesundheitsmanagement bei der Techniker Krankenkasse (TK), ist Bore-out vor allem eins: fehlende Sinnhaftigkeit der Arbeit. „Das ist wie Hamsterrad treten, aber ohne Effekt“, sagt der Gesundheitswissenschaftler. Dabei sei eine Frage für jeden wichtig: Was erzeuge ich mit dem, was ich tue?

Und genau hier gebe es strukturelle Probleme in der deutschen Arbeitswelt. „Bore-out ist auch Folge einer fehlenden Anerkennungskultur“, sagt Christian Timmerhoff. Bevor ein Vorgesetzter mit mir spricht, muss ich erst mal krank sein – diesen Satz kennt der Gesundheitswissenschaftler aus seiner täglichen Arbeit, dabei seien „Rückmeldung, Wertschätzung, klare Ziele und auch mal Erfolge feiern für Mitarbeiter enorm wichtig“. Deshalb will die TK jetzt das Bore-out-Konzept in ihr Führungskräftetraining einbauen, auch aus wirtschaftlichen Gründen: „Die Kosten durch Bore-out, wie fehlende Produktivität, dürften die Kosten durch Fehlzeiten mittlerweile weit übersteigen.“

Wer aber erst einmal in der Bore-out-Falle sitzt, der kommt nur schwer wieder heraus. „Der Beruf ist wesentlicher Teil der Identität, wer zugibt, sich auf der Arbeit zu langweilen, der greift seinen eigenen Selbstwert an“, sagt Dormann. Dazu kommt der gesellschaftliche und finanzielle Druck: Stell dich nicht so an. Sei froh, dass du überhaupt Arbeit hast, bekommt er zu hören. Davon müsse man sich lösen, rät Gesundheitsmanager Timmerhoff, denn „was nützt die Sicherheit, wenn man krank wird?“

Auch die Schweizer Wortschöpfer des Bore-outs appellieren an die Eigenverantwortung der Betroffenen. „Wer unterfordert ist und dies zu verstecken versucht, sollte sich in Selbstreflexion üben“, sagt Rothlin. Man solle in der Arbeit Befriedigung und Sinn suchen und einen unbefriedigenden Zustand nur für eine bestimmte Zeit hinnehmen. „Natürlich schaffen das nicht alle, es ist aber für mehr Menschen möglich, als dies gelebt wird“

von Andreas Maisch ( gekürzt )


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